Zu Beginn der Pandemie war der Oberarzt im Krankenhaus mit zahlreichen organisatorischen Fragen beschäftigt und hat diese Themen auch immer im Spiegel der Wissenschaftsgeschichte betrachtet. „Alles, was wir weiter entwickeln wollen, müssen wir zuerst auch verstehen. Das betrifft auch Seuchen, sie sind Teil der Menschheitsgeschichte. Die Welt hat wahrscheinlich seit 1918 nicht mehr geglaubt, dass man auf allen gesellschaftlichen Ebenen so durchgerüttelt werden kann wie jetzt durch die Pandemie“, bringt es Fuchssteiner auf den Punkt. Das Bild von Albrecht Dürer „Die vier apokalyptischen Reiter“ zeigt aus Sicht des Mediziners sehr deutlich die Abhängigkeiten: „Krieg, Seuche, Hunger und Tod hängen immer zusammen und verstärken sich gegenseitig.“ Viele Werke bekannter Künstler haben diese Themen aufgearbeitet und zeigen die Macht und Ohnmacht, mit der die Menschen – egal in welchem Jahrhundert – diesen Katastrophen gegenüberstanden. „Mitleid schwand und die Gesellschaft lebte in einem Ausnahmezustand. Die Opferbilanz, etwa bei der großen Pest in Europa (1347-1351), war so hoch, dass die Leichen kaum mehr weggeschafft werden konnten. Die Bilder vom Vorjahr aus der Lombardei erinnerten an diese Zeit.“ Nicht verwunderlich ist es, dass irrationale Antworten, Ängste und Polarisierungen Hand in Hand mit diesen Katastrophen gehen. „Am Ende potenzieren sich das ohnehin schon hohe Schadensausmaß durch die Erkrankten“, ist Fuchssteiner überzeugt, der die Spaltung der Gesellschaft auch als Folge der aktuellen Pandemie beobachtet: „Wer lässt sich testen, wer lässt sich impfen, wie genau nehmen wir die Regeln? All das sind Fragen, die durchaus dazu führen, dass sich Gegner und Befürworter in zwei Lager spalten.“
Meilensteine der Impfgeschichte
Impfungen zählen zu einer der wichtigsten Errungenschaften der modernen Medizin und sind gerade aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit wohl in den letzten Jahrzehnten fast schon aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden. Ob Pocken, Kinderlähmung, Masern oder Mumps – viele Krankheiten sind mittlerweile völlig ausgerottet oder haben zumindest ihre Gefährlichkeit dank der Impfung verloren. „Impfgegner begleiteten die Impfgeschichte von Anfang an“, erklärt Fuchssteiner und beschreibt weiter: „Ein wichtiger Meilenstein war zum Beispiel die Impfung gegen Kinderlähmung von Dr. Jonas Salk.“ Auf Grundlage dieser Vorarbeiten entwickelte Dr. Albert Bruce Sabin die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung, die ab 1956 eingesetzt wurde. „Diese Form der Impfung war revolutionär, denn sie lässt sich auch besonders gut in Ländern anwenden, in denen die medizinische Versorgung nicht so hoch entwickelt ist“, beschreibt Fuchssteiner die Bedeutung.
Aus der Geschichte lernen?
Ob Mundschutz, Hygienevorschriften oder Isolierung von Erkrankten – die aktuelle Pandemie hat viele Parallelen zur Spanischen Grippe – der sogenannten „H1N1-Pandemie“, der in den Jahren 1918 bis 1920 rund 5 % der Weltbevölkerung zum Opfer fielen. Schon damals wurde klar, dass ein Virus, das gut übertragbar ist, das Potenzial hat, weltweit viele Menschenleben zu fordern. „Seit 2012 haben die Coronaviren SARS und MERS bereits Seuchengeschichte geschrieben und aktuell erleben wir neuerlich, welche Wendungen eine Pandemie nehmen kann. Es war zu erwarten, dass Viren mutieren“, fasst der Mediziner zusammen und ergänzt: „Das Virus überträgt sich rascher als beispielsweise bei einer Grippe. Wenn viel mehr Menschen erkranken, so steigt natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Menschen schwerer erkranken oder sterben.“
Aktuell stehen sehr effektive Impfstoffe zur Verfügung: „Ich würde mir wünschen, dass die Diskussion differenzierter geführt wird. Wissenschaft muss kritikfähig und nachprüfbar bleiben, sich aber auch mit neuen Erkenntnissen verändern können. Mythen dürfen hier keinen Stellenwert haben. Leider verbreitet sich auch falsches Wissen derzeit enorm schnell“, fasst Fuchssteiner die aktuelle Situation zusammen.